ENTWURF: Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für Optikgeschäfte

15. November 2000 | Von | Kategorie: Information

Europa+FlaggePressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs Nr. 121/13
Luxemburg, den 26. September 2013
Urteil in der Rechtssache C-539/11

 

Die demografischen und geografischen Begrenzungen der italienischen Regelung hinsichtlich der Eröffnung neuer Optikergeschäfte stellen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Diese Grenzen können dennoch mit dem Unionsrecht vereinbar sein, wenn die zuständigen Behörden ihren Ermessensspielraum unter Einhaltung transparenter und objektiver Kriterien gebrauchen, um das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auf der Gesamtheit des betroffenen Gebiets auf kohärente und systematische Weise zu erreichen.

Um in Sizilien eine vernünftige Verteilung des Angebots von Optikertätigkeiten sicherzustellen, sieht das sizilianische Regionalgesetz vor, dass neue Optikergeschäfte nur nach vorheriger behördlicher Erlaubnis eröffnet werden dürfen. Diese Erlaubnis wird unter zwei Voraussetzungen erteilt: Zum einen wird nur ein einziges Optikergeschäft pro Einheit von 8.000 Einwohnern zugelassen, zum anderen ist zwischen zwei Geschäften eine Mindestentfernung von 300 Metern einzuhalten. Von diesen Voraussetzungen kann abgewichen werden, wenn erwiesenermaßen ein örtlicher Bedarf besteht. In diesem Fall kann die Gemeindebehörde ausnahmsweise eine Erlaubnis erteilen, nachdem sie die Stellungnahme eines besonderen Ausschusses der örtlichen Handelskammer, der sich aus Vertretern der Optiker zusammensetzt, eingeholt hat.

Im Jahr 2009 erteilte die Comune di Campobello di Mazara (Trapani, Sizilien) Fotottica unter Verstoß gegen das Regionalgesetz die Erlaubnis, auf dem Gemeindegebiet ein Optikergeschäft zu eröffnen. Eine mit Fotottica im Wettbewerb stehende Gesellschaft, Ottica New Line, focht sodann diese Verfügung beim Verwaltungsgericht an, und der Consiglio di Giustizia Amministrativa per la Regione Siciliana (Kassationsgericht in Verwaltungssachen der Region Sizilien) wandte sich schließlich an den Gerichtshof.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der Optikerberuf unter den Schutz der öffentlichen Gesundheit fällt1. Außerdem liefern und kontrollieren die in Rede stehenden Optiker nicht nur Hilfsmittel zur Korrektur von Sehfehlern und passen sie an, sondern können auch selbst Sehfehler durch optische Korrekturmittel korrigieren oder Sehmängeln vorbeugen. In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die zwei Voraussetzungen der sizilianischen Regionalregelung Optiker daran hindern, den Ort, an dem sie ihre selbständige Tätigkeit ausüben werden, frei zu wählen. Durch diese Regelung wird folglich die Ausübung der Tätigkeit von Optikern anderer Mitgliedstaaten mit Hilfe einer Betriebsstätte im italienischen Hoheitsgebiet behindert oder weniger attraktiv gemacht2.

Der Gerichtshof prüft anschließend, ob diese Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses des Schutzes der Gesundheit, die insbesondere geeignet sind, das allgemeine Ziel zu erreichen, die Gesundheitsdienstleister gleichmäßig über das nationale Hoheitsgebiet zu verteilen, gerechtfertigt ist, ohne über das hinauszugehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Im Rahmen der Verfolgung eines solchen Ziels kann, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, die Ansiedlung einer Apotheke Gegenstand einer Planung sein. Diese kann insbesondere in der Form eines Verfahrens einer vorherigen Erlaubnis bestehen, wenn sie sich als unerlässlich erweist, um eventuelle Lücken zu schließen und um die Errichtung von Strukturen einer Doppelversorgung zu vermeiden, so dass eine Gesundheitsversorgung gewährleistet ist, die den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst ist, das gesamte Hoheitsgebiet abdeckt und geografisch isolierte oder in sonstiger Weise benachteiligte Regionen berücksichtigt.

Diese Grundsätze können auch auf Optikergeschäfte angewendet werden, sofern die Optiker Dienstleistungen der Beurteilung, der Erhaltung und der Wiederherstellung des Gesundheitszustands von Patienten erbringen und somit in den Bereich des Schutzes der öffentlichen Gesundheit fallen. So erleichtert das Verhältnis zwischen der Zahl der Optikergeschäfte und der Einwohnerzahl die gleichmäßige Verteilung dieser Geschäfte über das Gebiet und stellt für die gesamte Bevölkerung einen angemessenen Zugang zu den Optikerleistungen sicher. Die Regel, nach der zwischen zwei Optikergeschäften eine Mindestentfernung bestehen muss, erhöht in Verbindung mit der vorgenannten Regel die Gewissheit der Patienten, dass sie in ihrer Nähe über einen Zugang zu einem Gesundheitsdienstleister verfügen.

Zwar besteht bei Optikergeschäften weniger Interesse an der Nähe als im Bereich des Vertriebs von Arzneimitteln, da das Bedürfnis eines schnellen Zugangs zu diesen Waren geringer ist als jenes, das der Lieferung von Arzneimitteln innewohnt. Jedoch ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, auf welchem Niveau und auf welche Weise sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen, so dass ihnen das Unionsrecht einen Wertungsspielraum zuerkennt. Im Rahmen der Wahrnehmung dieses Wertungsspielraums steht es den Mitgliedstaaten frei, eine Planung von Optikergeschäften in einer der Verteilung von Apotheken vergleichbaren Weise vorzusehen, und zwar trotz der Unterschiede, die zwischen den beiden Arten von Gesundheitsdienstleistungen bestehen. Gleichwohl müssen die Regeln, durch die eine gleichmäßige Verteilung von Optikergeschäften über das Gebiet sichergestellt und der Zugang zu diesen Geschäften gewährleistet werden soll, diese Ziele tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgen.

Hierzu bemerkt der Gerichtshof, dass in Anbetracht der unterschiedlichen Regeln, die je nach der Größe der Gemeinden anwendbar sind, und der fehlenden Begrenzung des großzügigen Ermessensspielraums der sizilianischen Gemeindebehörden die Gefahr besteht, dass die fragliche Regelung zu einem ungleichen Zugang zur Niederlassung von Optikergeschäften führt. Da diese Regelung die zuständigen Behörden dazu ermächtigt, Maßnahmen zu treffen, um eine gleichmäßige Verteilung der Optikergeschäfte über das Gebiet sicherzustellen, ist es jedoch Sache des nationalen Gerichts, mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel zu prüfen, ob die genannten Behörden solche Befugnisse unter Einhaltung transparenter und objektiver Kriterien in angemessener Weise gebrauchen, um den Schutz der öffentlichen Gesundheit auf der Gesamtheit des betroffenen Gebiets auf kohärente und systematische Weise zu erreichen.

1 Urteil des Gerichtshofs vom 2. Dezember 2010, Ker-Optika (C-108/09), vgl. auch Pressemitteilung Nr. 117/10.
2 Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez (C-570/07 und C-571/07), vgl. auch Pressemitteilung Nr. 49/10.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Quelle: http://europa.eu/rapid/press-release_CJE-13-121_de.htm
Die Original Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs Nr. 121/13 können Sie hier herunterladen.